Medienmitteilung Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) 20.8.2019
Die Zweitwohnungsgesetzgebung ist am 1. Januar 2016 in Kraft getreten. Gestern haben in Bern die Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete SAB, der Schweizer Tourismus- Verband STV und der Hauseigentümer Verband Schweiz HEV-Schweiz eine Bilanz gezogen. Knapp vier Jahre nach Inkrafttreten der Gesetzgebung zeigt sich, dass die Initiative deutliche Spuren hinterlassen hat und längst noch nicht alle Fragen abschliessend geklärt sind. Es ist deshalb nötig, Fehlkonstruktionen in der Gesetzgebung zu korrigieren und weitere flankierende Massnahmen zu ergreifen.
Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative und deren Umsetzung haben in den betroffenen Kantonen und Gemeinden für heftige Diskussionen gesorgt. Vier Jahre nach Inkrafttreten der Zweitwohnungsgesetzgebung muss der Bund eine Evaluation der Wirkungen dieser Gesetzgebung vornehmen. Der Bericht muss somit im Jahr 2020 vorliegen. Mit der Tagung leisten die SAB, der STV und der HEV Schweiz einen Beitrag zu dieser Evaluation.
Neubautätigkeit gebremst
Die Neubautätigkeit in Tourismusgemeinden ist seit 2016 deutlich zurückgegangen und ist nur noch etwa halb so hoch wie in der Zeit vor der Annahme der Initiative. Die Preise für Zweitwohnungen haben sich gemäss den Angaben der Wüest Partner AG in den Tourismusgemeinden sehr unterschiedlich entwickelt. Während in einem Teil der Gemeinden ein Rückgang des Preisniveaus um bis zu 20% verzeichnet werden musste (z.B. Bergün Filisur), sind die Preise in anderen Gemeinden um bis fast 50% gestiegen (z.B. Vitznau). Der Bau von Zweitwohnungen hat sich – wie vor der Annahme der Zweitwohnungsinitiative befürchtet – teilweise in Gemeinden verlagert, die noch nicht einen Anteil von 20% an Zweitwohnungen haben. Die Diskussion in der Tagung zeigte wiederholt, dass die direkten Wirkungen der Zweitwohnungsgesetzgebung nur sehr schwer zu messen sind, weil sie stark von anderen Faktoren übersteuert werden. Dazu gehören u.a. der Generationenwechsel bei den Zweitwohnungsbesitzern und das revidierte Raumplanungsgesetz.
Veränderte Kundenwünsche der Gäste
Das gleiche Bild zeigt sich bei der touristischen Entwicklung. Das Kundenverhalten der Gäste hat sich unabhängig von der Zweitwohnungsinitiative verändert. Der Trend nach immer häufigeren Kurzurlauben nimmt stetig zu. Das Modell der klassischen Zweit-wohnungen war damit schon vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative ein Auslaufmodell. Der Trend zu Kurzurlauben stellt aber auch die Hotellerie vor Herausforderungen. Für Eric Bianco, Chef der Dienststelle für Wirtschaft, Tourismus und Innovation des Kantons Wallis ist deshalb klar, dass es vor allem Massnahmen zur Förderung der Hotellerie braucht. Dazu gehören u.a. eine Unterstützung bei der Nachfolgeregelung, die Förderung von Renovationen bestehender Betriebe und die Förderung von Kooperationen.
Einbruch in der Bauwirtschaft teilweise kompensiert
Die Annahme der Zweitwohnungsinitiative führte zu einem Einbruch in der Bauwirtschaft. Dieser ist sichtbar in den Arbeitslosenzahlen im Baugewerbe, welche beispielsweise im Kanton Wallis seit 2012 um einen Drittel höher ist noch im Jahr 2011. Der Einbruch im Baugewerbe konnte in den meisten Bergkantonen teilweise kompensiert werden durch andere Bauvorhaben wie z.B. im Strassenbau oder im Wallis durch die Rhonekorrektion. Das Arbeitsvolumen hat sich aber klar von den Berggemeinden in die Talgemeinden verlagert.
Potenziale nutzen
Die Umsetzung der Zweitwohnungsgesetzgebung hat den Weg geöffnet für die Nutzung neuer Potenziale. So wurde z.B. im Gesetz bewusst die Möglichkeit geschaffen, schützenswerte oder ortsbildprägende Bauten wie alte Ställe in Ortskernen zu Zweitwohnungen umzunutzen und sie so vor dem Zerfall zu retten. Dies schafft neue Möglichkeiten für die Bauwirtschaft und belebt die Ortskerne. Leider hat sich die Umsetzung dieser Bestimmung in einigen Kantonen verzögert. In den Gemeinden braucht es einen verstärkten Dialog mit den Zweitwohnungsbesitzern. Heinrich Summermatter, Präsident der Allianz Zweitwohnungsbesitzer Schweiz schätzt, dass die Zweitwohnungsbesitzer 30 – 80% der Gemeindesteuern in den Tourismusgemeinden entrichten. Die Zweitheimischen sollten aktiv in die Entwicklung der Gemeinden einbezogen werden. Summermatter schwebt ein neues Label «Top Zweitwohnungsdestination » vor für jene Gemeinden, die sich besonders für diesen Dialog zwischen Einheimischen und Zweitwohnungsbesitzern hervortun.
Erheblicher Aufwand für die Kantone und Gemeinden
Die Umsetzung der Zweitwohnungsinitiative ist für die Kantone und Gemeinden mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden. Insbesondere in den ersten Jahren gab es zahlreiche offene Fragen, die mit Planungshilfen und Leitfäden geklärt werden mussten. Wie Martin Künzi, Regierungsstatthalter von Interlaken – Oberhasli an der Tagung ausführte, ist die quartalsweise Nachführung des Gebäude- und Wohnungsregisters für die Gemeinden bis heute aufwändig. Dazu kommen die Grundbucheinträge und die Kontrolle der Nutzungen. Die Gemeinden sind zudem mit zahlreichen Fragen der Eigentümer konfrontiert, die nicht selten vor Gericht behandelt werden müssen. Die komplexe Zweitwohnungsgesetzgebung ist für nicht-Experten nur schwer nachvollziehbar.
Fehlkonstruktionen in der Gesetzgebung korrigieren
Bereits zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Zweitwohnungsgesetzgebung war klar, dass nicht alle Fragen abschliessend geklärt werden konnten und dass sich die Gesetzgebung auf Grund der Erfahrungen in der Praxis weiter entwickeln müsse. Dieser Handlungsbedarf bestätigte sich auch an der Tagung. Die Bestimmung, wonach nicht mehr rentable Hotels nur zu 50% in Zweitwohnungen umgewandelt werden können, ist nicht praktikabel. Der vollständige Marktaustritt und damit der Strukturwandel müssen ermöglicht werden. Das forderte auch Christophe Hans von Hotellerie Suisse an der Tagung. Ebenso sind die Bestimmungen für neurechtliche Erstwohnungen viel zu restriktiv. Das Gesetz sieht vor, dass neurechtliche Erstwohnungen nicht zu Zweitwohnungen umgenutzt werden dürfen. In Ausnahmefällen kann während zweier Jahre die Nutzungsauflage sistiert werden. Dies wirkt abschreckend für potenzielle Neuzuzüger, auf die die Bergdörfer dringend angewiesen sind. Diese Bestimmung muss deshalb angepasst werden.